Interview mit Thomas Bradler (Verbraucherzentrale NRW): Flatrates müssen zeitgemäße und gewöhnliche Nutzung des Internets erlauben

Im Rahmen der Interview-Reihe „LTE-Ausbau Deutschland – Politik und Wirtschaft nehmen Stellung“ befragt 4G.de in den kommenden Wochen Fachpolitiker, sowie Vertreter aus Wirtschaft und von Interessenverbänden rund um das Thema LTE. Unser heutiger Interview-Partner ist Thomas Bradler, Rechtsanwalt (Gruppe Verbraucherrecht) bei der Verbraucherzentrale NRW. Er nimmt Stellung zum aktuell heißdiskutierten Thema DSL-Drosselung der Deutschen Telekom und geht auch auf die Frage der Flatrates bei LTE ein.

Thomas Bradler, Jurist bei der Verbraucherzentrale NRW (© Verbraucherzentrale NRW)

Thomas Bradler, Jurist bei der Verbraucherzentrale NRW
(© Verbraucherzentrale NRW)

4G.de: Im Mai 2013 hat die Verbraucherzentrale NRW die Deutsche Telekom wegen der angekündigten Drosslung der DSL-Verbindungen abgemahnt. So argumentieren Sie beispielsweise damit, dass eine Drosselung auf 384 kbit/s für VDSL-Kunden (bis zu 50 Mbit/s) eine Reduzierung der Geschwindigkeit um bis zu 99,2 Prozent bedeute. Dies stelle eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher dar. Bei LTE-Tarifen mit Übertragungsraten von bis zu 50 Mbit/s, die viele Menschen auf dem Land als DSL-Ersatz nutzen, liegt eine vergleichbare Konstellation vor. Wie beurteilen Sie eine solche Drosselung aus Sicht der Verbraucher?

Thomas Bradler: Grundsätzliche Bedenken wird man nach derzeitiger Rechtslage gegen eine Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeiten weder im Mobilfunk noch im Festnetzbereich hervorbringen können. Ob und wann gedrosselt wird, ist letztlich eine Frage der Tarifgestaltung und unterliegt – im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften – der Vertragsfreiheit. Wenn die Anbieter ihre Tarife aber als Flatrate bezeichnen und bewerben möchten, dann kann eine Drosselung unserer Ansicht nach jedenfalls nicht derart drastisch ausfallen, dass eine zeitgemäße und gewöhnliche Nutzung eines Internetanschlusses nicht mehr über die gesamte Zeit gewährleistet ist. Dies sehen wir bei den DSL-Tarifen der Telekom nunmehr erfüllt, da mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von 384 kbit/s beispielsweise praktisch kein Videostreaming mehr möglich ist. Letztlich wird man diese Ansicht jedenfalls in Bezug auf LTE auch auf den Mobilfunk übertragen können. Schließlich werden LTE-Tarife – anders als beispielsweise UMTS-Tarife – zum Teil offensiv als Festnetzersatz beworben. Eine abschließende Bewertung wird letztlich den Gerichten vorbehalten bleiben.

4G.de: Die deutschen Netzbetreiber argumentieren, dass LTE-Tarife ohne festes Inklusivvolumen nicht möglich seien, da 4G ein Shared Medium darstelle. Da die Anbieter im Mobilfunk an den Datenvolumen festhalten, fordern Verbraucher zumindest die Option, Volumen günstig nachkaufen zu können. Nicht alle LTE-Anbieter erlauben aktuell diese Möglichkeit. Eine Alternative wären dazu grundsätzlich höhere Datenvolumen. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier in Zukunft als Verbraucherzentrale?

Thomas Bradler: Dauerhaft werden die Anbieter gezwungen sein, praxistaugliche Tarife und Tarifoptionen anzubieten, um die Kunden nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Aber auch schon heute muss gewährleistet sein, dass die Anbieter in der Werbung keine Versprechungen machen, die sie im Kleingedruckten revidieren. Drauf achten wir und gehen gegebenenfalls gegen unlautere Angebote vor. Da immer mehr Verbraucher Wert auf eine schnelle mobile Internetverbindung legen, gilt es aber auch, sicherzustellen, dass die Netzkapazitäten konsequent dem Bedarf angepasst werden.

4G.de: Zahlreiche Anbieter von LTE und 3G schließen in ihren Vertragsbedingungen die Nutzung von Voice over IP und Peer-to-Peer-Diensten ausdrücklich aus. Experten sehen hier laut TKG-Novelle vom Mai 2012 einen klaren Verstoß gegen die Netzneutralität. Wie beurteilen Sie solche Passagen in den Vertragsbedingungen einzelner Anbieter?

Thomas Bradler: Zunächst kommt es auch hier darauf an, wie derartige Einschränkungen kommuniziert werden. Ist in der Werbung plakativ und pauschal von einer Internet-Flatrate die Rede und ergibt sich erst aus dem Kleingedruckten, welche Dienste man letztlich tatsächlich nutzen kann, stellt dies nach Auffassung der Verbraucherzentralen eine Irreführung der Verbraucher dar. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat in einem vergleichbaren Fall bereits einen Mobilfunkanbieter auf Unterlassung verklagt. Darüber hinaus ist in derartigen Fällen in der Tat auch die Netzneutralität betroffen, weil Zugang und Nutzungsmöglichkeiten des Internets für den Verbraucher erheblich eingeschränkt werden. Die Verbraucherzentralen setzen sich dafür ein, dass Verbraucher Anspruch auf eine Internetverbindung haben, die frei von Diskriminierung ist in Bezug auf Art der Anwendung, der Dienstleistung, des Inhalts oder der Adresse des Senders oder Empfängers.

Fazit 4G.de:

Thomas Bradler weißt darauf hin, dass die Anbieter aufgrund der Vertragsfreiheit ihre Tarife frei gestalten könnten. Grundsätzlich gebe es deshalb keine rechtlichen Bedenken gegen eine Drosselung der Surfgeschwindigkeiten im Festnetz oder Mobilfunk. Im Einzelnen komme es jedoch immer darauf an, was die Anbieter in der Werbung versprechen und was letztendlich im Kleingedruckten stehe. Problematisch sei es etwa, wenn Netzbetreiber einzelne Tarife offensiv als Flatrate bewerben. Eine Flatrate müsse eine zeitgemäße und gewöhnliche Nutzung des Internets über den gesamten Zeitraum erlauben. Bradler sieht etwa eine Drosselung einer Übertragungsrate von 50 Mbit/s auf 384 kbit/s als rechtlich bedenklich an. Hier könne man zum Beispiel mehr kein Videostreaming nutzen. Dies sei auch beim Mobilfunk problematisch, da die Anbieter LTE offensiv als DSL-Ersatz bewerben. Hier spricht Thomas Bradler einen wichtigen Punkt an, denn auch laut der gesetzlichen Vorgaben der Bundesnetzagentur  und im Sinne der Bundesregierung soll LTE für die Menschen auf dem Land ausdrücklich ein Festnetzersatz sein.

In Zukunft müssen die Netzbetreiber praxistaugliche Tarife und Tarifoptionen anbieten. Hier hofft Bradler auf den Konkurrenzkampf der Anbieter untereinander. Im Ausschluss von Diensten wie Voice over IP und Peer-to-Peer über Mobilfunk sieht er dazu eine Verletzung der Netzneutralität, da die Verbraucher so keinen diskriminierungsfreien Zugang zum Internet hätten.

Wir danken Thomas Bradler für das interessante Interview und freuen uns auf einen regen Meinungsaustausch dazu mit unseren Lesern von 4G.de.

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