Dr. Michael Lemke (Huawei Deutschland): 5G wird alle Lebensbereiche digitalisieren

Was ist 5G? Dieser Frage geht das Infoportal 4G.de in seiner Interview-Reihe „Was ist 5G? Ein Blick ins mobile Gigabit-Zeitalter“ nach. Was bietet die kommende Mobilfunktechnologie? Was sind Anwendungsmöglichkeiten der Zukunft? Wann startet 5G? Wir befragen Netzbetreiber, Vertreter aus der Wirtschaft und von Interessenverbänden zum 4G-Nachfolger. Unser erster Gesprächspartner ist Dr. Michael Lemke, Senior Technology Expert (ICT) bei der Huawei Technologies Deutschland GmbH. Er spricht über den Unterschied von 4G und 5G, analysiert Anwendungen des 4G-Nachfolgers und gibt eine Einschätzung zum Marktstart der Mobilfunktechnologie der fünften Generation in Deutschland.

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Dr. Michael Lemke (Huawei Deutschland) (Bildquelle: Lemke)

4G.de: Viele Mobilfunknutzer in Deutschland sehen in 5G einen schnelleren 4G-Nachfolger. Man hört häufig, dass selbst in den kommenden Jahren niemand Übertragungsraten von bis zu 10 Gbit/s und mehr benötigt. Telekom-Chef Timotheus Höttges hatte auf dem MWC 2017 in Barcelona gesagt, 5G sei „weit mehr als einfach der nächste Mobilfunkstandard“ und würde unser Leben revolutionieren. Was ist der qualitative Unterschied der kommenden Mobilfunktechnologie im Vergleich zu 4G? Ist 5G weitaus mehr als nur Mobilfunk und wird sich damit unser Leben deutlich verändern?

Dr. Michael Lemke: Streng genommen ist 5G noch gar nicht endgültig festgelegt, die von der Internationalen Telekommunikations Union (ITU) vorgeschlagene Definition wird erst im November 2017 endgültig verabschiedet.

Dennoch deutet sich der qualitative Unterschied von 5G im Vergleich zu 4G bereits auf Grund der langjährigen internationalen Forschung an: Er besteht in dem Anspruch von 5G, nicht „nur“ im Vergleich zu 4G die schnellere Kommunikationstechnologie für den mobilen Breitband-Internet-Zugang zur Verfügung zu stellen. 5G hat vielmehr das Ziel, die vereinheitlichte drahtlose bzw. Mobilfunktechnologie für alle denkbaren Anwendungsfelder zu werden.

In dem Bereich der mobilen Internetnutzung erwartet man insbesondere durch die stärkere Verbreitung von 360° Videoinhalten, ‚augmented reality‘/‘virtuel reality‘ Anwendungen, der massenhaften Konsumierung hochauflösender Bewegtbildinhalten von 4K-Auflösung und mehr wesentliche Bedarfsimpulse für 5G. Diese Nutzungsart wird innerhalb der 5G Anwendungsbereiche unter dem Kürzel eMBB (engl. Evolved Mobile Broadband), also fortgeschrittener mobiler Breitbanddienst, zusammengefasst.

Darüber hinaus ist 5G darauf ausgerichtet, als Kommunikationstechnologie für weitere, weniger in der öffentlichen Wahrnehmung stehenden Anwendungsbereiche zu fungieren: Angefangen vom vernetzten Fahren über das Internet der Dinge, der drahtlosen Vernetzung von Industrie- und Produktionsanlagen und deren zum Teil drastisch neuen Anforderungen bzgl. Zuverlässigkeit, Latenzzeiten, Datenverkehrsdichten, Energieverbrauch usw. stellt 5G einen großen Schritt dar.

Auf dieser Grundlage wird 5G durchaus als eine wesentliche Grundlage für die umfassende Digitalisierung Deutschlands verstanden: Themen wie intelligente Mobilität, autonomes Fahren, Digitalisierung der Landwirtschaft, die Digitalisierung der Logistikbranche, der Medizin, Industrie 4.0 als neues Paradigma der voll vernetzten und digitalisierten Kette vom Produzenten hin zum Endverbraucher, die voll digitalisierte Produktion und Distribution in der Medienbranche kommen ohne die anvisierten Fähigkeiten von 5G nicht aus.

Technisch gesehen geht mit 5G auch die Einführung einer neuen Luftschnittstelle einher. Sie erlaubt die Nutzung wesentlich größerer Frequenzbereiche ohne die bei 4G existierende Begrenzung auf 20 MHz bzw. Vielfachen davon. So spricht man bei den Frequenzen von unter 6 GHz, im sogenannten 5G Pionierband, bei 3.4-3.8 GHz von Trägerbandbreiten bis zu 100 MHz pro Träger und bei den Frequenzen oberhalb 6 GHz, also beispielsweise bei 26 GHz, von Trägerbandbreiten bis zu 1 GHz und darüber. Diese erweiterten Frequenzbereiche sind eine wesentliche Grundlage dafür, um die in der ITU 5G Definition angestrebten Leistungen zu erreichen, also beispielsweise die Datengeschwindigkeit von 10 Gbps unter idealen Bedingungen im Downlink.

Darüber hinaus wird 5G das Prinzip der anwendungsspezifischen Netze etablieren, dem sogenannten Slicing, das auf der vereinheitlichten Technologie beruht und von einer homogenisierten Systeminfrastruktur Gebrauch macht. Dieses Prinzip erlaubt die flexible Einrichtung und den Betrieb von Netzen mit speziellen, für die jeweiligen Anwendungsszenarien zutreffenden Nutzungsprofilen hinsichtlich Datenraten, Latenzzeiten und weiteren Dienstparametern innerhalb einer Netzinfrastruktur, also vereinfacht gesprochen: Man hat so etwas wie viele individuelle Spezialnetze in einem Netz.

Zusammenfassend also lässt sich feststellen: Der heutige Nutzer von Smartphones und Tablets wird durch 5G eine neue Qualität in der Mediennutzung erleben, augmented und virtuelle Realitäts-Anwendungen werden die heutige Nutzererfahrung wesentlich erweitern, aber das ist nur ein Teilaspekt. Da die Digitalisierung alle Lebensbereiche erfassen wird, kann man davon ausgehen, dass 5G als eine ihrer Grundlagen möglicherweise als eine Revolution auch im alltäglichen Leben wahrgenommen wird.

4G.de: Wenn es um die Frage des Marktstarts mit 5G geht, fällt regelmäßig das Jahr 2020. In manchen Ländern könnte es bereits früher Demonstrationsnetzwerke mit dem 4G-Nachfolger (z.B. Olympischen Winterspielen 2018 in Südkorea) geben. Im Strategiepapier „5 Schritte zu 5G“ nennt das BMVI das Jahr 2025. Bis dahin sollen alle Hauptverkehrswege und mindestens die 20 größten Städte mit dem 4G-Nachfolger ausgebaut sein. Welches Land startet nach Ihrer Einschätzung mit dem ersten kommerziellen 5G-Netz? Glauben Sie, dass die Bundesregierung ihre gesteckten Ziele bis 2025 umsetzen kann?

Dr. Michael Lemke: Auch 5G folgt international regional spezifischen Faktoren. So ist beispielsweise Südkorea einer der dynamischsten Mobilfunkmärkte überhaupt, die Akzeptanz und Annahme mobiler Dienste war schon bei 4G die schnellste, u.a. weil es dem führenden Betreiber gelang, 4G basierende Angebote zu monetisieren. Die USA sind ein weiterer Markt mit spezifischen Bedingungen, bei denen frühe 5G Ankündigungen auf fruchtbaren Boden fallen. Bei genauerer Betrachtung muss allerdings festgestellt werden, dass beide Lead-Märkte sich auf bestimmte Teilaspekte von 5G fokussieren, Südkorea wird sich auf das Thema 5G Entwicklung für mobilen Breitband-Internetzugang bzw. hochqualitativer Video-Services im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen konzentrieren. In den USA werden frühe 5G Ankündigungen mit dem drahtlosen, stationären Internetzugang verknüpft, also mit höhere Bandbreiten, da eine entsprechende Infrastruktur Glasfaser, Koax-Kabel oder Kupfer nicht allen Betreibern und insbesondere nicht überall zur Verfügung steht.

Vor diesem Hintergrund kann man erwarten, dass es in den genannten Ländern bzw. Regionen zu ersten 5G ähnlichen Anwendungen kommen wird. Allerdings werden diese frühen Einsatzfälle nur einen Teil der Standardisierung der 3GPP unterstützten bzw. evtl. sogar teilweise proprietären Ansätzen folgen.

In Deutschland werden die Ambitionen der 5G Versorgung gegenwärtig neben den verbesserten mobilen Breitbandanwendungen insbesondere von der erwarteten Einführung des automatisierten Fahrens befördert. Bezugnehmend auf die Ambitionen des BMVI lässt sich als IKT Hersteller nur konstatieren: Rein technisch gesehen spricht nichts dagegen, allerdings sind dafür natürlich die nötigen Markt- und regulativen Voraussetzungen zu schaffen. Ein wesentlicher Faktor ist natürlich der Ausbau der Netze für die erwartete Abdeckung und Performance.

4G.de: Es wird immer wieder über die Frage diskutiert, was konkrete Anwendungen für 5G sind. Als Anwendungsmöglichkeiten der Zukunft werden Augmented und Virtual Reality, selbstfahrende Autos, Industrieroboter oder vernetzte Städte genannt. Nicht alle Anwendungsfelder werden in den ersten Jahren nach dem Markstart umgesetzt. Bei einzelnen Anwendungen wie selbstfahrende Autos müssen neben technischen Fragen auch rechtliche Fragen geklärt werden. Was werden Ihrer Einschätzung nach die ersten konkreten Anwendungen für 5G sein? Was setzt sich erst später durch?

Dr. Michael Lemke: Wie bereits weiter oben angeführt, sprechen viele Indikatoren, nicht zuletzt die Fokussierung der 3GPP Standardisierung dafür, dass die sogenannten eMBB Anwendungen zuerst realisiert werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der Fortschreibung der heutigen Marktdynamik in Bezug auf die ständige Verbesserung der Bildschirmauflösungen, wie es besonders gut bei den Smartphones beobachtet werden kann. In Deutschland befinden wir uns heute bereits auf einer Zwischenstufe zwischen der 4. und 5. Mobilfunk-Generation, auch 4.5G genannt. Spitzengeschwindigkeiten bereits oberhalb von 1 Gbps auf Grundlage von LTE-Advanced Pro und die Einführung von NB-IoT, der Schmalband-Technologie für das Internet der Dinge, ermöglichen bereits in den nächsten zwei Jahren Anwendungen, die bisher eigentlich erst mit 5G erwartet wurden. So z.B. wird 360° Video bereits vereinzelt mit 4.5G nutzbar und die Themen der verbesserten Verkehrssicherheit für das teilautomatisierte Fahren entlang von Autobahnen kann ab 2019 mit der der LTE-V2X Technologie unterstützt werden.

Bezogen auf die 5G Realisierung in Deutschland sehen wir folgenden, auf der 3GPP Standardisierung abgestützten Fahrplan: In der zweiten Jahreshälfte 2018 werden die ersten vereinzelten Trial-Installationen entstehen können, fokussiert auf das Thema eMBB, und ab der zweiten Hälfte 2019 eine Erweiterung hin zu den weiteren Einsatzfällen von 5G insbesondere im Bereich Industrie 4.0 und die Netzverbesserungen für das automatisierte Fahren. Wann der Übergang hin zur massenhaften Nutzung stattfinden wird, bleibt den Marktkräften überlassen und eventuell flankiert von Maßnahmen der Politik, die die Ambitionen des „5 Schritte zu 5G“ Programms untersetzen.

Fazit 4G.de

Dr. Michael Lemke (Huawei Deutschland) sieht in 5G eine qualitativ andere Mobilfunktechnologie als 4G. Der LTE-Nachfolger ermöglicht alle denkbaren Anwendungsfelder. Hierzu gehören zum Beispiel Anwendungen im Bereich 360° Videoinhalte, Augmented und Virtual Reality. In der Industrie kommt die Mobilfunktechnologie in Zukunft beim vernetzen Fahren oder bei der drahtlosen Vernetzung von Industrieanlagen zum Einsatz. Insgesamt wird die Einführung des 4G-Nachfolgers zu einer Digitalisierung von Deutschland führen und alle Lebensbereiche erfassen. Mobilfunkkunden erleben eine neue Qualität in der Mediennutzung. Viele Menschen werden 5G als Revolution im Alltag erleben.

Erste 5G-Anwendungen könnte es nach Einschätzung von Lemke in Südkorea und den Vereinigten Staaten geben. Hier wird man sich jedoch auf bestimmte Teilaspekte der Mobilfunktechnologie konzentrieren. In Deutschland entstehen in der ersten Jahreshälfte 2018 erste Trail-Stationen, ab der zweiten Jahreshälfte 2019 erwartet Lemke einzelne Einsatzfälle im Bereich Industrie 4.0 und automatisiertes Fahren. Bereits heute sind mit LTE Advanced Pro (4.5G) Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 1 Gbit/s möglich. Bis sich 5G endgültig in Deutschland mit hohen Übertragungsraten von bis zu 10 Gbit/s und mehr durchsetzt, hängt letztendlich von den Marktkräften und der Politik ab.

Wir danken Dr. Michael Lemke für das interessante Interview und freuen uns auf einen regen Meinungsaustausch dazu mit unseren Lesern von 4G.de.

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